Studie zeigt riesigen Nachholbedarf der Schweiz beim Schutz der Biodiversität auf

Medienmitteilung von BirdLife Schweiz vom 11.2.2024

EBP-Studie: «Globaler Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal – Umsetzung durch die Schweiz»

Am Freitag, dem 9. Februar fand die vom Forum Biodiversität Schweiz der SCNAT organisierte grosse Tagung SWIFCOB 24 statt. Das Thema war spannend: «Biodiversität integrieren - Wie setzen wir die neuen internationalen Ziele in der Schweiz um?» Tatsächlich reichen die Bemühungen der Schweiz zum Schutz der Biodiversität bei weitem nicht aus, um die Ziele des globalen Biodiversitätsabkommens von Kunming-Montreal zu erreichen. Dies zeigt das unabhängige Beratungs- und Ingenieurunternehmen EBP Schweiz in seiner aktuellen Studie. Nachholbedarf besteht insbesondere bei biodiversitätsfreundlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft, sowie bei den Flächen und der Qualität von Lebensräumen.  

Die globale Biodiversität sinkt seit Jahrzehnten in dramatischem Ausmass. Heute sind bis zu einer Million Arten von Aussterben bedroht. Damit verbunden gehen auch zahlreiche Ökosystemleistungen zurück, wie die Bestäubung von Kultur- und Wildpflanzen, der Schutz vor Naturkatastrophen oder die Speicherung von Kohlenstoff. Die internationale Staatengemeinschaft geht diese Herausforderung unter anderem im Rahmen der Biodiversitätskonvention an. Im Dezember 2022 fand in Montreal, Kanada, die 15. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention statt. Das Schlussdokument der Konferenz – das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) – hält 23 Ziele fest, um den raschen Biodiversitätsverlust zu stoppen (1).

In der Schweiz steht es um die Biodiversität noch dramatischer als weltweit: Ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume sind bedroht. Die renommierte Firma EBP hat nun anhand von Indikatoren untersucht, wo die Schweiz hinsichtlich der Umsetzung der Ziele des GBF steht. Weiter hat EBP geprüft, was die Schweiz alles tun muss, um die Ziele zu erreichen. Die globalen Ziele wurden unter anderem mit den Ergebnissen der Zwischenevaluation des nationalen «Aktionsplans Biodiversität» sowie Nachhaltigkeits-Indikatoren des Bundes verglichen.

Das erste globale Handlungsziel verlangt, dass in der Raumplanung sämtliche Flächen so ausgeschieden und bewirtschaftet werden, dass der Verlust von besonders wichtigen Gebieten für die Biodiversität bis 2030 auf nahezu Null zurückgeht. Die EBP-Studie spricht hier eine deutliche Sprache: Die Durchsetzung des Natur- und Heimatschutzgesetzes durch Bund und Kantone sei «unzureichend». Die Qualität und die Fläche der heutigen Schutzgebiete reiche bei weitem nicht aus, um den Biodiversitätsrückgang zu stoppen. Bei anderen planerischen Festlegungen würden verbindliche Vorgaben zur Erreichung der Biodiversitätsziele oft fehlen.

Beim zweiten Ziel, das vorsieht, bis 2030 knapp einen Drittel der beeinträchtigten Ökosysteme wiederherzustellen, geschehe in der Schweiz praktisch nichts. Dies im Gegensatz zur EU, die mit dem «Nature Restauration law» grossflächig Moore, Auen oder naturnahe Wälder wiederherstellen will (2).

Medial bereits viel Aufmerksamkeit erhielt das GBF-Ziel drei, das fordert, dass bis 2030 30% der Landes- und Meeresflächen durch Schutzgebiete oder andere wirkungsvolle flächenbasierte Massnahmen gesichert werden sollen. Die EBP-Studie zeigt auf, dass in der Schweiz erst gut 10% der Flächen als gesicherte Schutzgebiete gelten können. Die Schweiz ist somit in Europa das Land mit dem geringsten Anteil an Schutzgebieten. Hier besteht grosser Nachholbedarf. Darüber hinaus sei die Planung und Umsetzung der Ökologischen Infrastruktur voranzutreiben.

Der globale Zielrahmen enthält aber noch zahlreiche andere, mindestens ebenso wichtige Ziele. Das Ziel 14 fordert die volle Integration der Biodiversität und ihrer vielseitigen Werte in politische Strategien, gesetzliche Regelungen sowie weitere politische Prozesse und in die volkswirtschaftliche Buchhaltung.

Die Ziele 9 bis 12 fordern ein nachhaltiges und biodiversitätsfreundliches Wirtschaften in allen Sektoren inklusive Landwirtschaft. Gerade in der Landwirtschaft sei die Lücke «zwischen Zielerreichungsgrad und Zielvorgabe besonders gross», heisst es in der Studie. Die dringend notwendige Korrektur der Agrarpolitik zugunsten der Biodiversität wird in der Schweiz auf die lange Bank geschoben – auf Kosten der Naturvielfalt. Zu viel Dünger und Pestizide beeinträchtigten Ökosystemleistungen und damit unsere Lebensgrundlagen.

Wesentlich für die Zielerreichung sind auch die Finanzen. Ziel 18 fordert die Abschaffung biodiversitätsschädigender Subventionen. 162 Subventionen sind in der Schweiz biodiversitätsschädigend, wie eine Studie von WSL und Forum Biodiversität 2020 gezeigt hat. Obwohl sich in diesem Bereich der Schutz der Biodiversität ohne finanzielle Kosten stark verbessern liesse, lässt der Bundesrat erst acht dieser problematischen Finanzflüsse untersuchen.

Das Ziel 19 fordert weltweit zusätzliche Finanzmittel im Umfang von 200 Mrd. USD pro Jahr zur Lösung der Biodiversitätskrise. Die EBP-Studie zeigt eine Finanzierungslücke von sage und schreibe 370 Millionen Franken jährlich auf zwischen dem Beitrag, den die Schweiz ans globale Finanzierungsziel leisten sollte, und dem, was sie bisher tatsächlich einsetzt. Zudem besteht auch in der Schweiz – etwa bei der Sanierung von Biotopen von nationaler Bedeutung – ein grosser Handlungsbedarf, was entsprechende Finanzmittel voraussetzt.

Die EBP-Studie zeigt: Die Herausforderungen, die sich für die Schweiz im Bereich der natürlichen Vielfalt stellen, sind gewaltig. Will die Schweiz die GBF-Ziele erreichen, ist entschlossenes Handeln nötig, aber schliesslich auch ein gesellschaftliches Umdenken, das der Erhaltung und Förderung der Biodiversität in allen Bereichen einen höheren Stellenwert einräumt. Nötig sind massiv mehr finanzielle Mittel, um flächendeckend eine bessere Qualität von Lebensräumen erreichen, auf weiteren Flächen muss die Natur Vorrang haben.

Links:

EBP-Studie

(1) https://www.cbd.int/doc/c/e6d3/cd1d/daf663719a03902a9b116c34/cop-15-l-25-en.pdf
(2) https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/nature-restoration-law_en

 

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Bild

Die Wiederherstellung von Lebensräumen ist eines der globalen Ziele, bei denen die Schweiz im Bereich der Biodiversität hinterherhinkt. Bild: kanalisierte Glatt beim Flughafen Zürich

Foto: Albert Krebs

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Auskünfte

  • Andreas Zysset, Geschäftsleitungsmitglied/Partner und Leiter Bereich Umwelt und Wasser, EBP Schweiz AG, Tel. 079 525 12 78
  • Raffael Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz, Tel. 076 308 66 84