Der Dollar der Biodiversität

Position von BirdLife Schweiz – August 2022

Ökosysteme sind unglaublich komplex. So komplex, dass auch gestandene Wissenschafterinnen und Wissenschafter oft nicht in der Lage sind, den Einfluss einer bestimmten Art bzw. ihres Verschwindens auf das Ökosystem vorauszusagen.

Auf die Komplexität der belebten Natur haben Wissenschaft und Naturschutz reagiert. Statt nur von Artenvielfalt spricht man heute von Biodiversität; die Vielfalt der Arten wurde ergänzt durch die Vielfalt der Lebensräume, die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Wechselwirkungen zwischen diesen Elementen. Bei der genetischen Vielfalt geht es übrigens nicht nur um gezüchtete Kulturpflanzensorten oder Nutztierrassen, wie viele meinen, sondern vor allem um die oft unsichtbare genetische Vielfalt zwischen verschiedenen Populationen und verschiedenen Arten von wildlebenden Organismen.

In Naturschutzorganisationen arbeiten nach wie vor überwiegend Biologinnen und Biologen oder anderweitig naturwissenschaftlich orientierte Personen. Vereinfachende Kommunikation wird eher kritisch beäugt. In der Bevölkerung jedoch kommen die Hauptbotschaften aufgrund der hohen Komplexität kaum noch an. Was bleibt, ist ein Kommunikationsproblem.

Auch die Klimakrise ist komplex. Lachgas, Methan, Ammoniak, CO2 – die Liste der Treibhausgase ist lang. Aber die Klimawissenschaft hat etwas geschafft: Sie hat eine einheitliche Währung für das Problem und die Lösungen eingeführt. Das CO2-Äquivalent.

 

«Der Naturschutz braucht ebenfalls eine einheitliche Währung, damit die Fortschritte beim Schutz der Biodiversität in einfacher Form gemessen und kommuniziert werden können – den Dollar der Biodiversität sozusagen.»


Der Naturschutz braucht ebenfalls eine einheitliche Währung, damit die Fortschritte beim Schutz der Biodiversität in einfacher Form gemessen und kommuniziert werden können – den Dollar der Biodiversität sozusagen. Auf internationaler Ebene z. B. in der EU und vor allem im Rahmen der internationalen Biodiversitätskonvention hat sich in den letzten Jahren die Fläche, die von wertvollen Lebensräumen und weitgehend intakten Ökosystemen eingenommen wird, als wichtigstes Mass durchgesetzt. Die berühmten 30 % Schutzgebiete, die bis 2030 erreicht werden sollen («30-by-30»), aber auch die Ziele zur Wiederherstellung von intakten Ökosystemen basieren auf Flächen.

Ausreichende Flächen sind eine absolut unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt der Biodiversität, und noch immer mangelt es genau an diesen. Allerdings ist allen im Naturschutz aktiven Personen schmerzlich bewusst, dass diese Flächen auch eine hohe ökologische Qualität haben und fachgerecht unterhalten werden müssen.

Um Flächen mit mehr oder weniger intakten Ökosystemen aufgrund ihrer Qualität und der Repräsentativität unterschiedlicher Lebensräume angemessen gewichten zu können, wären Inputs aus der Wissenschaft nötig. Die solchermassen gewichteten Flächen liessen sich dann im Sinne der CO2-Äquivalente auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Mit diesem «Dollar der Biodiversität» könnten die komplexen Zusammenhänge im Biodiversitätsschutz künftig einfacher kommuniziert werden.