Birkhahn © Michael Gerber

Vom Jagd- und Schutzgesetz zum Abschussgesetz

Das Trauerspiel um das Jagd- und Schutzgesetz (JSG) geht weiter. Der Bundesrat hatte eine Revision des JSG vorgeschlagen, die BirdLife Schweiz, Pro Natura und WWF Schweiz als eigentliches Abschussgesetz charakterisierten. Trotzdem hat der Ständerat im letzten Sommer sogar noch weitere Verschlechterungen eingebaut. Anfang Mai dieses Jahres war nun der Nationalrat an der Reihe. Nach der fast einen Tag dauernden, hitzigen Debatte ist das Gesetz nicht besser geworden, im Gegenteil. Wenn dieses Gesetz nicht in der Volksabstimmung gekippt wird, wird die Natur noch jahrzehntelang darunter leiden.

Auch bei den drei von den Schutzorganisationen definierten «roten Linien» hat der Nationalrat keine Verbesserungen angebracht:

  • Erstens sollen geschützte Arten auf Vorrat abgeschossen werden dürfen, ohne dass es zuvor irgendwelche Schäden gab. Der Nationalrat hat sogar gestrichen, dass die möglichen künftigen Schäden der geschützten Arten gross sein müssen und dass vor dem Abschuss Massnahmen zur Verminderung möglicher Schäden zu ergreifen sind. Beim Wolf könnte so jedes Jahr die Hälfte der Jungtiere ohne Grund geschossen werden. Aber es betrifft nicht nur ihn: Bei allen geschützten Tierarten, die auf die entsprechende Liste gesetzt werden, können Bestände ohne konkreten Schaden reguliert werden.
     
  • Zweitens soll die Bewilligung für die Regulierung geschützter Arten nicht wie bisher vom Bund, sondern von den Kantonen erteilt werden können. Die blosse Anhörung des Bundes reicht aber nicht.
      
  • Und drittens soll der Bundesrat die Liste der regulierbaren Arten selber erweitern. Neben dem Steinbock und dem Wolf wurde sogar der Biber vom Parlament auf die Liste gesetzt. Dem Luchs droht das gleiche Schicksal; hier gibt es noch eine Differenz zwischen National- und Ständerat. Nur ganz knapp, mit 97 zu 94 Stimmen, wurden Graureiher und Gänsesäger vom Nationalrat nicht auch als regulierbar zum Abschuss freigegeben.

Die Debatte zeigt auch: Für die aktuelle Mehrheit im Parlament wird es künftig ganz einfach sein, vom Bundesrat zu verlangen, diverse weitere Arten auf die Abschussliste zu setzen. So kommen dann wohl Luchs, Graureiher und Gänsesäger wie auch Höckerschwan, Graugans, Mittelmeermöwe und vielleicht weitere Arten auf die berüchtigte Liste.

Dass es reine Abstimmungstaktik war, den Luchs (noch) nicht als regulierbar zu bezeichnen, zeigt ein neuer durch den Nationalrat eingefügter Regulierungsgrund für geschützte Arten: die Erhaltung «regional angemessener» Wildbestände. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Staat den Jägern einen bestimmten Jagdertrag garantieren muss. Und es ist direkt gegen den Luchs gerichtet. Somit wird bereits damit gerechnet, dass schon bald in die Luchsbestände eingegriffen werden kann.

Dank Eingaben der Nationalräte Nik Gugger, Vizepräsident von BirdLife Schweiz, und Beat Jans konnte sich der Nationalrat auch zum zukünftigen Schutz bedrohter und potenziell gefährdeter Arten äussern. Der Schutz der bedrohten Waldschnepfe wurde mit 105 zu 82 Stimmen abgelehnt, jener von Birkhahn und Schneehuhn mit 102 zu 80. Immerhin wurde Nik Gugger in seinem Bemühen, die beiden bedrängten Raufusshühner von der Jagd auszunehmen, vom Bundesrat unterstützt.

Auch bei den Einzelabschüssen von geschützten Tieren und jagdbaren Arten während der Schonzeit gab es weitere Verschlechterungen. BirdLife Schweiz musste in den letzten Jahren mehrmals mittels Verbandsbeschwerde kantonale Abschussverfügungen überprüfen lassen – zum Beispiel im Kanton Freiburg zum Schutz von Graureihern vor ungerechtfertigter Verfolgung, oder im Kanton Bern beim Graureiher und Gänsesäger. In allen Fällen wurden die kantonalen Verfügungen als nicht rechtmässig aufgehoben. Das Gleiche geschah in einem Rechtsfall im Kanton Freiburg: Rehe und Wildschweine hätten überall auf Kantonsgebiet ohne Rücksicht auf Schonzeiten abgeschossen werden können. Das Verwaltungsgericht hob die dem Gesetz widersprechende Verfügung auf. Geht es jedoch nun nach dem Nationalrat, wird das nicht mehr möglich sein: Die grosse Kammer hat mit 106 zu 76 Stimmen beschlossen, das Verbandsbeschwerderecht bei Einzelabschüssen von jagdbaren Tieren aufzuheben. Der Ständerat will sogar noch weitergehen. Beschliesst also ein Kanton in Zukunft Abschüsse zum Beispiel von Saatkrähen und Kormoranen zur Brutzeit, dann kann der Entscheid nicht mehr mittels Verbandsbeschwerde überprüft werden, auch wenn er noch so unrechtmässig ist. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.

Die Gesetzesrevision geht nun zurück in die Kommission und das Plenum des Ständerates. Verbesserungen sind keine mehr zu erwarten. So hat sich mit dem Nationalratsbeschluss die Wahrscheinlichkeit eines Referendums stark erhöht. Das ist schade. Mit einer Revision, die sich an den ursprünglichen Zielen betreffend Wolf orientiert hätte, hätte man das bestehende gute Gesetz in einigen Punkten konkretisieren können. Die aktuelle Mehrheit im Parlament wollte hingegen in einer Machtdemonstration zeigen, dass sie alles gegen die Natur beschliessen kann, was man sich nur denken kann.

Wenn dieses Gesetz nicht in der Volksabstimmung gekippt wird, wird die Natur noch jahrzehntelang darunter leiden.

Juni 2019