Die Turmdohle: Klein, selten, und blauäugig

Medienmitteilung des Schweizer Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz vom 22. Januar 2009

Die Turmdohle ist das kleinste Mitglied der Familie der Rabenvögel. In der Schweiz ist sie selten und steht auf der Roten Liste der gefährdeten Vögel. Die Turmdohle hat eine markante Kopffärbung: Hinkterkopf und Nacken sind grau, die Augen leuchtend hellblau. Wie andere Rabenvögel ist sie sehr intelligent und hat ein ausgeprägtes Sozialleben. Noch bevor man sie sieht, hört man oft ihren typischen «Kjack, kjack»-Ruf. Die Turmdohle ist gesellig und brütet meist in Kolonien. Traurige Berühmtheit erlangte die einst grösste Turmdohlenkolonie im Wasserschloss Hallwyl (AG): Die meisten Vögel wurden im Sommer 2006 von Unbekannten vergiftet.
 
Die Turmdohle wird auch Dohle genannt. Die volkstümliche Bezeichnung Turmdohle spielt auf einen bevorzugten Nistplatz an: Türme und alte Gemäuer, wie sie in Schlössern oder Stadtmauern, etwa der Luzerner Museggmauer vorkommen. Ursprünglich dienten Felswände als Brutplatz. Dohlen können ebenso gut in älteren Bäumen mit Höhlen nisten. Diese stammen meist von einem Schwarzspecht. Darum ist es wichtig, dass im Wald den seltenen Dohlenkolonien Sorge getragen wird und die Förster und Waldarbeiter solche «Spechtbäume» kennzeichnen und unbedingt stehen lassen.

Die Dohle brütet nur bis zu Höhenlagen von 800 Metern. Eine Höhenausnahme bildet die Turmdohlen-Kolonie an der Burg Rätia Ambla im Kanton Graubünden: Dort ist auf 1230 Metern Höhe die mit gut 70 Paaren grösste Dohlen-Kolonie der Schweizer Alpen beheimatet. Die grösste Baumkolonie fand sich 2004 in der Stadt Bern mit 12 Brutpaaren am Muristalden oberhalb des Bärengrabens. Dohlen zeigen vor ihren Brutplätzen und Gemeinschaftsschlafplätzen akrobatische und synchrone Flugspiele.

Wegen Siloballen praktisch keine Eiweissbomben mehr

Die Dohle ist eine Allesfresserin: Sie verspeist Spinnen und Insekten ebenso wie Schnecken, Kleinsäuger aber auch Früchte und Abfall. In sogenannten Maikäferjahren kann sich dieser Krähenvogel weitgehend auf diese Nahrung spezialisieren. Ihre Nahrung suchen die Dohlen meist am Boden, vor allem im Kulturland, auf Feldern und kurzrasigen Wiesen und Weiden.
Jetzt im Winter kann man die Turmdohle häufig im Verband mit Saatkrähen sehen. Sie sammelt vor allem Keimlinge, Sämereien, Kartoffelknollen, Früchte aller Art sowie Siedlungsabfälle, selten Aas.

Seit den 70er Jahren ist der Bestand der Turmdohlen um rund einen Drittel gesunken auf noch rund 1000 Brutpaare. Der Rückgang geht auf zwei Hauptursachen zurück: Erstens auf die Zerstörung von Nistplätzen und zweitens auf zu wenig Nahrung. Durch unsensible Gebäudesanierungen und durch das Abholzen von alten Bäumen mit Bruthöhlen finden die Dohlen keine Nistmöglichkeit mehr.

Durch die intensiv betriebene Landwirtschaft vor allem im Mittelland herrscht Nahrungsknappheit. Es fehlen «Eiweissbomben» in Form von Grossinsekten. Während früher bei der Heugewinnung Insekten nach dem Schnitt beim Trocknen von den Heinzen fliehen konnten, werden durch die Herstellung von Siloballen 80 Prozent der Insekten vernichtet. Sie werden im Grasschnitt im Siloballen eingepackt und können sich nicht mehr vermehren.

Graue Männchen scheinen attraktiv zu sein – viel Lärm bei Scheidungen

Der graue Nacken, der dem Vogel zusammen mit den leuchtend hellblauen Augen sein spezielles Aussehen verleiht, ist bei der Balz wichtig: Das Männchen verneigt sich, spreizt Flügel und Schwanz und drückt den Schnabel gegen die Brust. Dabei richtet es die Scheitelfedern auf und zeigt seinen grauen Nacken. Zur Brutzeit ist es möglich, dass Turmdohlen auf den Rücken von Schafen oder Hochlandrindern beobachtet werden. Dort versuchen sie, Haare für den Nestbau zu rupfen. Die Paare leben in Dauerehe und sind fast immer zusammen. Gelegentlich kommt eine «Scheidung» vor, verbunden mit der ganzen Aufregung, wie wir sie auch bei Menschen kennen. Dohlen kommunizieren mit einer grossen Vielfalt an Lautäusserungen miteinander und kennen eine differenzierte Rangordnung in einer Kolonie.