Keines der Ziele erreicht: ein verlorenes Jahrzehnt für die Biodiversität

Medienmitteilung vom 24.4.2022

Am 25. April sind es genau zehn Jahre her, seit der Bundesrat die Strategie Biodiversität Schweiz beschlossen hat. Von den damals festgelegten 18 Zielen ist auch ein Jahrzehnt später keines erreicht. Schlimmer noch: Der Bund hat gar nicht versucht, die Biodiversität, unsere Lebensgrundlage, wirklich zu sichern und zu fördern. Das zeigt eine neue Analyse zum runden Geburtstag.

Nur gerade bei einem der offiziellen Biodiversitätsziele ist die Schweiz wenigstens auf Kurs: bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt im Wald. Erreicht hat sie auch dieses Ziel nicht, ebenso wenig wie die anderen 17 Ziele. Bei zwei Dritteln gab es keinerlei Fortschritte oder sogar Rückschritte. Das zeigt die neue Analyse von BirdLife Schweiz.

Zustand der Biodiversität weiter verschlechtert

Bei den Schutzgebieten hätte bis Ende 2020 ein Anteil von 17 Prozent an der Landesfläche erreicht werden müssen. Doch die Schweiz hat für die Schutzgebiete nur ganz wenig getan: In den zehn Jahren seit dem Bundesratsbeschluss zur Biodiversitätsstrategie hat der Flächenanteil gerade einmal um 0,2 Prozentpunkte zugenommen, als 2017 die nationalen Biotope revidiert wurden. Dies auf einen heutigen Schutzgebietsanteil von 9,9 Prozent – weit entfernt vom Zielwert1.

Bei knapp einem Drittel der Ziele gibt es wenigstens erste Ansätze für Fortschritte. Aber der Bund hat viel zu wenig dafür getan. Bei der Förderung der Biodiversität auf bundeseigenen Grundstücken ist noch immer praktisch nur die Armee aktiv. Das ist begrüssenswert, aber es gibt noch unzählige andere Bundesstellen mit Gebäuden oder eigenen Flächen. Bei den biodiversitätsschädigenden Subventionen hat der Bund anscheinend bis 2020 wenig oder nichts getan. Erst als die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und die Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) in jenem Jahr eine wissenschaftliche Studie veröffentlichten, gab es etwas Bewegung, und der Bundesrat kündigte in Antworten auf Vorstösse im Parlament konkrete Schritte an.

Bei der Verbreitung von Wissen hat der Bund eine geplante verstärkte Information gestoppt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verbreitet praktisch keine Medienmitteilungen mehr zur Biodiversität. So wurden die Roten Listen der Vögel und Säugetiere Ende Februar mit grosser Verspätung und stillschweigend aufs Netz gestellt, ohne Medieninformation. Dabei hätten gerade die Roten Listen anhand wichtiger Fakten aufgezeigt, ob die Biodiversitätsstrategie Wirkung entfaltet. Doch noch immer sind bei den Vögeln rund 40 % der 205 in der Schweiz brütenden Vogelarten gemäss den strikten quantitativen Standards gefährdet, dreimal mehr als im europaweiten Vergleich. Bei den Säugetieren zeigte sich sogar, dass sich in den letzten rund 25 Jahren die Lage verschlechtert hat. Also weit entfernt vom Ziel des Bundesrates, dass sich der Erhaltungszustand der national prioritären Arten bis 2020 verbessern sollte. Die letzte Übersicht des BAFU zum Zustand der Biodiversität in der Schweiz datiert von 2017. Der Bund hat 2020 keinerlei Bilanz gezogen.

Wie konnte es so weit kommen?

Eigentlich hatte es 2008 so gut begonnen: Das Parlament verpflichtete den Bundesrat auf Anträge der FDP und der Grünen hin, mehr für die biologischen Vielfalt zu tun und eine Biodiversitätsstrategie zu erarbeiten und umzusetzen. Als Bundesrätin Doris Leuthard das UVEK Ende 2010 übernahm, ging es zügig vorwärts. Bereits am 25. April 2012 brachte die damalige CVP-Magistratin eine gute Biodiversitätsstrategie durch den Bundesrat. Dieser beauftragte das BAFU, innerhalb von zwei Jahren zur Erreichung der strategischen Ziele die nötigen konkreten Massnahmen im Aktionsplan Biodiversität zu erarbeiten. Doch danach kam es zu massiven Verzögerungen. Der Aktionsplan, als er dann veröffentlicht wurde, blieb weit hinter den Vorgaben der Biodiversitätsstrategie zurück.

Und da stehen wir heute: «Trotz bundesrätlicher Biodiversitätsstrategie geht es der biologischen Vielfalt in der Schweiz noch schlechter als vor zehn Jahren, statt dass sich die Situation, wie vom Bundesrat beschlossen, verbessern würde», sagt Raffael Ayé, Geschäftsführer von BirdLife Schweiz. Bezüglich mehrerer Ziele der Biodiversitätsstrategie lief nur sehr wenig, wie die Analyse von BirdLife Schweiz ergab. Raffael Ayé betont denn auch: «Die Jahre seit dem Bundesratsbeschluss zur Biodiversitätsstrategie sind ein verlorenes Jahrzehnt für die Biodiversität. Unsere Lebensgrundlage schwindet weiter. Unser Land braucht rasch einen griffigen Aktionsplan Biodiversität und die erforderlichen Mittel zur Umsetzung. Den aktuellen ungenügenden Plan einfach für weitere Jahre fortzuschreiben, würde noch mehr Schäden an der biologischen Vielfalt auf kommende Generationen überwälzen und die bereits herrschende Biodiversitätskrise weiter verstärken. So weit darf es nicht kommen.

1 Der Bundesrat nennt einen Anteil von 13,4 Prozent von „für die Biodiversität ausgeschiedenen Flächen“. Diese Zahl geht jedoch weit über die Schutzgebiete hinaus und umfasst auch nicht langfristig gesicherte Flächen in der Landwirtschaft und Gebiete, die zwar internationalen Konventionen angerechnet werden, aber faktisch über keinen Schutz verfügen.
  


Auskünfte

Raffael Ayé, Geschäftsführer BirdLife Schweiz, Tel. ‭076 308 66 84‬